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Ulrika Engler. Foto: Lukz.com

Volkshochschulen - "Impulse für eine lebendige Demokratie"

Erstellt von Eckhard Senger |

Die Direktorin der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung, Ulrika Engler, sollte bei der „Langen Nacht der Volkshochschulen“ in der Kreisvolkshochschule Northeim die Festrede halten. Aufgrund einer Erkrankung fiel ihre Rede dann aber kurzfristig aus. kvhs-northeim.de hat stattdessen mit ihr das folgende Interview geführt.

kvhs-northeim.de: Wie wichtig ist politische Bildung für unsere Gesellschaft im zu Ende gehenden Jahr 2019?

Ulrika Engler: Demokratie und politische Bildung gehören für mich untrennbar zusammen. Gerade in Zeiten wie diesen, in denen Demokratie bei einem Blick in die Welt nicht mehr selbstverständlich ist und auch hier teilweise massiv angefeindet wird, müssen wir den Wert der Auseinandersetzung mit verschiedenen Meinungen, das Entwickeln eigener Positionen und das konstruktive Aushandeln von Lösungen immer wieder neu lernen und den Mehrwert erfahrbar machen. 

Besonders im Jahr des 70. Geburtstags unseres Grundgesetzes können wir diese große Errungenschaft nicht genug feiern und sollten alles dafür tun, dass sie unsere gemeinsame Grundlage des Zusammenlebens bleibt.

kvhs-northeim.de: Wird der politischen Bildung immer und überall der angemessene Stellenwert eingeräumt?

Ulrika Engler: Wir hören in der Landeszentrale von vielen Seiten den riesigen Bedarf an politischer Bildung. Sei es aus der Jugendarbeit, der Erwachsenbildung, aus den Kommunen, den Schulen, der Feuerwehr, der Polizei und vielen mehr. Wir haben noch viel Luft nach oben für die politische Bildung und hier in Niedersachsen ganz viel Potential und eine beeindruckende plurale Landschaft an Akteurinnen und Akteuren. Es gibt also noch viel zu tun.

kvhs-northeim.de: Welche Probleme oder gar Gefahren befürchten Sie, wenn die politische Bildung vernachlässigt wird?

Ulrika Engler: Politische Bildung hat weniger die Aufgabe, Probleme und Gefahren abzuwehren als grundlegende Elemente von Demokratie zu stärken. Wenn wir beispielsweise die vielen unsäglichen und menschenverachtenden Anfeindungen erleben, durch die Menschen beleidigt und diskriminiert werden, nur weil sie zu einer Minderheit beziehungweise einer weniger machtvollen Gruppe gehören, dann müssen wir etwas tun. Dann geht es an die Grundwerte unserer demokratisch verfassten Gesellschaft. Hier ist politische Bildung gefragt, Angebote zu schaffen, um Menschen zu stärken, solche Parolen nicht stehen zu lassen, sondern einzuschreiten und klar zu machen, dass Menschenverachtung in unserer Demokratie keinen Platz hat.

kvhs-northeim.de: Wo setzt die Niedersächsische Landeszentrale für politische Bildung an?

Ulrika Engler: Wir haben dazu eine App gegen Parolen entwickelt. Sie heißt „KonterBUNT. Einschreiten für Demokratie“. Als Argumentationshilfe für die Hosentasche bietet sie Strategien, wie man auf der Familienfeier, im Bus, in der Kneipe undf so weiter reagieren kann, wenn man menschenverachtende Parolen hört. Es gibt auch mögliche Antworten auf beispielhafte Stammtischparolen und ein kleines Spiel, um das Gelernte zu trainieren. Die App lässt sich gut in Bildungsangebote einbauen. Infos finden Sie auf www.konterbunt.de.

kvhs-northeim.de: Wie schätzen Sie die Situation der politischen Bildung für Erwachsene ein?

Ulrika Engler: Über viele Jahrzehnte hat es die politische Erwachsenbildung geschafft, eine plurale Trägerlandschaft aufzubauen und zu gestalten. Bundesweit gibt es Schätzungen, dass mehr als zwei Millionen Menschen im Jahr an Veranstaltungen der politischen Erwachsenenbildung teilnehmen. Gleichzeitig stehen finanziell und personell häufig sehr begrenzte Rahmenbedingungen zur Verfügung. Gerade, wenn wir Menschen erreichen wollen, die sich von klassischen Formaten nicht angesprochen fühlen, braucht es mehr Zeit und Ressourcen.

kvhs-northeim.de: Welche Rolle beziehungsweise Aufgaben können Ihrer Einschätzung nach dabei die Volkshochschulen übernehmen?

Ulrika Engler: Die Volkshochschulen sind für mich wichtige Orte der Demokratie. Orte, an denen viele Menschen jenseits von Filterblasen zusammen kommen, um zu lernen, zu diskutieren, zu lachen und zu leben. Volkshochschulen sind offene Häuser, in denen Menschen jeder Herkunft, jeder sexuellen Orientierung und so weiter eingeladen sind. Wir brauchen solche Orte, in denen Auseinandersetzung, das Aufeinanderprallen verschiedener Meinungen und das Aushandeln von Prozessen alltäglich erfahrbar werden. Hier bieten die Volkshochschulen durch ihre flächendeckende Verankerung im kommunalen Raum einmalige Möglichkeiten.

kvhs-northeim.de: Während unserer „Langen Nacht“ haben wir die Frage diskutiert „Wie kann, wie sollte die Volkshochschule der Zukunft aussehen?“ Haben Sie darauf eine Antwort?

Ulrika Engler: Wir erleben derzeit viele große gesellschaftliche Umbrüche. Der Wandel durch Digitalisierung beispielsweise stellt alle Menschen vor enorme Herausforderungen. Dazu gehören auch Herausforderungen für unsere Demokratie. Wie stellen wir sicher, dass Meinungsfreiheit durch künstliche Intelligenz nicht gefährdet wird? Wie können wir eine faire Auseinandersetzung ohne Beleidigungen oder gar Drohungen netzpolitisch und gesellschaftlich gestalten – um nur wenige Beispiele zu nennen.

Die Volkshochschulen als Orte, an denen jenseits von Filterblasen verschiedene gesellschaftliche Gruppen über die Fragen der Zukunft lokal in den Kommunen diskutieren und um Lösungen ringen – das muss aus meiner Sicht der Kern von Volkshochschulen sein. Die Verknüpfung dieser Themen mit digitalen Angeboten, durch die auch das Netz ein kreativer Ort von Demokratie wird, macht die Volkshochschulen auch künftig so bedeutsam wie die vergangenen 100 Jahre. Orte, von denen in ganz Niedersachsen Impulse für eine lebendige Demokratie ausgehen.

Interview: Eckhard Senger (Kreisvolkshochschule Northeim)

Zum Bericht über die "Lange Nacht der Volkshochschulen"


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